CALCIO STORICO: Ein brutaler Ableger des italienischen Fußballs, der bis heute fasziniert

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Fußballer werden oft als weniger zähe Athleten angesehen im Vergleich zu ihren Kollegen in anderen Sportarten. Doch das trifft definitiv nicht auf die Spieler des Calcio Storico zu, einer alten Form des Fußballs, die in Italien berühmt ist. Diese traditionsreiche Sportart wird, vielleicht zur Überraschung vieler, auch heute noch praktiziert und erfordert außergewöhnliche Belastbarkeit.

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Fußball, den schon die Päpste spielten

Calcio Storico Fiorentino, auch bekannt als calcio in livrea oder calcio in costume, ist eine frühe Form des Fußballs, die im Mittelalter in Italien entstand. Dieser Sport, der auf der Piazza Santa Croce in Florenz gespielt wurde, war als giuoco del calcio fiorentino (wörtlich „Florentiner Fußball“) oder einfach calcio bekannt. Interessanterweise ist „calcio“ heute auch das Wort für Vereinsfußball in der italienischen Sprache. Der Ursprung des Spiels liegt in der Wiederbelebung der römischen Sportart Harpastum.

Calcio war ein Privileg der wohlhabenden Aristokraten, die es von Dreikönig bis zur Fastenzeit jeden Abend spielten. Selbst Päpste wie Clemens VII., Leo XI. und Urban VIII. spielten diesen Sport im Vatikan. Gewalt war dabei erlaubt, und das Ziel bestand darin, mit allen Mitteln ein Tor zu erzielen. Im Jahr 1490 fand sogar ein Spiel auf dem zugefrorenen Arno statt.

Calcio Storico (Quelle: visititaly.eu)

Ein edler Kampf

Am 17. Februar 1530, während Florenz von den kaiserlichen Truppen Karls V. belagert wurde, organisierte die Stadt einen besonderen Ringkampf als Akt des Trotzes. Das sogenannte „Noble Match“ fand auf der Piazza Santa Croce statt und zog nur prominente Soldaten, Herren, Adlige und Prinzen an. Eine Version der Spielregeln wurde erst Ende des 16. Jahrhunderts von Giovanni de‘ Bardi aufgezeichnet, sodass bis dahin unklar blieb, was erlaubt war und was nicht.

Jedes Stadtviertel hat seine eigene Mannschaft

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts ließ das Interesse am Calcio nach. Doch in den 1930er Jahren erlebte das Spiel unter Benito Mussolini im Königreich Italien eine Wiederbelebung. Calcio wurde von Amateuren auf den Straßen und Plätzen gespielt, oft mit handgefertigten Bällen aus Stoff oder Tierhaut. Heute finden jedes Jahr im Juni drei Spiele auf der Piazza Santa Croce in Florenz statt.

Jedes Stadtviertel stellt ein eigenes Team:

Santa Croce / Azzurri (Blau)

Santa Maria Novella / Rossi (Rot)

Santo Spirito / Bianchi (Weiß)

San Giovanni / Verdi (Grün)

 

Nach zwei Vorrundenspielen treffen die Sieger im Finale aufeinander, das traditionell am 24. Juni, dem Fest des Heiligen Johannes, dem Schutzpatron von Florenz, stattfindet. Über die Jahrzehnte endeten diese brutalen Kämpfe oft mit schweren Verletzungen, manchmal sogar tödlich. Früher wurden Stiere in die Arena gebracht, um Wetten zu fördern und die Spannung zu steigern, indem sie für zusätzliche Verwirrung sorgten.

Die moderne Version des Calcio hat sich kaum verändert und erlaubt nach wie vor aggressive Taktiken wie Faustschläge, Ellbogenstöße und Würgegriffe. Allerdings sind inzwischen „Saugnapfschläge“ und Kopfstöße verboten, da sie häufig zu schweren Verletzungen führten. Außerdem darf ein Spieler nicht von mehreren Gegnern gleichzeitig attackiert werden. Verstöße gegen diese Regeln führen zum sofortigen Ausschluss aus dem Spiel.

Turnierabsagen wegen Gewalt

Die Mannschaft von Santa Croce / Azzurri (Blau) ist seit 1979 die erfolgreichste mit über 20 Siegen. Es kam jedoch mehrfach zu Turnierabbrüchen wegen Gewalt oder grobem Foulspiel. Diese Vorfälle führten zu wichtigen Regeländerungen, wie der Verpflichtung, dass Spieler entweder in Florenz geboren sein müssen oder seit mindestens zehn Jahren dort leben. Zudem sind Spieler, die wegen eines Verbrechens verurteilt wurden, vom Spiel ausgeschlossen.

Calcio storico Fiorentino (Quelle: REUTERS)

Auch bei der Ausgabe 2024 gab es ein spannendes Spiel mit einigen harten Fouls und zahlreichen Verletzungen. Das Endspiel wurde in diesem Jahr früher ausgetragen, um nicht mit dem üblichen Termin am 24. Juni, dem Fest des Stadtpatrons, zu kollidieren. Diese Entscheidung wurde getroffen, um Überschneidungen mit den möglichen Kommunalwahlen zu vermeiden, die für Samstag, den 22. Juni, und Sonntag, den 23. Juni, angesetzt waren.