Geschichte der Europameisterschaften – EURO 1976 in Jugoslawien: Ikonischer Elfer und tschechoslowakisches Gold

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Author: Ladislav Harsányi

Die Fußball-Europameisterschaft (EURO) wird eines der großen Sportfeste des Kalenderjahres 2024 sein. Anlässlich der Europameisterschaft in Deutschland haben wir eine historische Serie über die Europameisterschaften vorbereitet. Hier ist der fünfte Teil, der sich auf die EURO 1976 in Jugoslawien konzentriert.

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Goldenes tschechoslowakisches Belgrad

Das hätte wohl nicht einmal der größte Optimist vor Beginn des Qualifikationszyklus vorausgesagt. Nämlich, dass die tschechoslowakischen Fußballspieler nach dem Ende der fünften Edition der Europameisterschaft die Goldmedaillen um den Hals hängen können.

Bis auf Liechtenstein und Albanien nahmen alle UEFA-Mitgliedsländer an der Qualifikation teil. Die Tschechoslowakei wurde in die Gruppe mit England, Portugal und Zypern gelost. Nach der glatten 0:3-Niederlage zum Auftakt in London waren die Hoffnungen auf ein Weiterkommen gering. Doch in den folgenden Runden bliebt die Mannschaft von Vaclav Jezek nicht nur in der Qualifikation, sondern auch später ungeschlagen.

Nach dem „Pflichtsieg“ gegen Zypern (4:0) kamen die gefährlichen Portugiesen nach Prag und verabschiedeten sich mit einer 0:5-Klatsche! Und dann kam der 29. Oktober 1975. Das hoffnungslos ausverkauftes Stadion Tehelne Pole (50.000 Zuschauer) wollte das Spiel gegen Albion sehen. Das Stadion war in so dichten Nebel gehüllt, dass man nur 20-30 Schritte weit sehen konnte.

Quelle: cas.sk (Photo: anc) – Stadion Tehelne pole im Jahr 2011

Deshalb wurde das Spiel nach einer Viertelstunde abgebrochen und am nächsten Nachmittag bei strahlendem Sonnenschein fortgesetzt. In der 26. Minute ging die Heimmannschaft durch ein Tor von Mick Channon in Rückstand, doch in der zweiten Halbzeit sorgten Zdenek Nehoda und Dusan Galis mit Kopfballtoren (die Engländer waren „Weltmeister“ im Kopfballspiel) für die beiden goldenen Punkte.

In Portugal erreichte die Mannschaft ein wertvolles 1:1-Unentschieden und gewann das letzte Spiel gegen Zypern mit 3:0. Im Viertelfinale traf die Mannschaft auf die schnellen und wendigen Spieler der UdSSR. Der Held dieser Spiele war Jozef Moder, der drei der vier Tore seines Teams erzielte. Nach einem 2:0-Heimsieg gab es in Kiew ein 2:2-Unentschieden und die Qualifikation für das Finalturnier in Jugoslawien war geschafft.

EURO-Gedenkfeier in Jugoslawien

Bei der Endrunde der Europameisterschaft in Jugoslawien (16. bis 20. Juni 1976) wartete zunächst das Maksimir-Stadion in Zagreb, wo man im Halbfinale auf den haushohen Favoriten und Vizeweltmeister Niederlande mit den Stars Johans-Cruyff und Neeskens traf. „Wenn wir nicht Erster werden, werde ich zu Hause aufgehängt“, hörte man den niederländischen Trainer Georg Knobel bei der Ankunft in Jugoslawien sagen.

Doch im Dauerregen schlug das Glück für den Outsider zu. Kapitän Anton Ondrus traf erst ins gegnerische (19.) und dann ins eigene Netz (74.), doch in der Verlängerung sorgten Zdenek Nehoda (114.) und der schnellfüßige Joker Frantisek Vesely (118.) für den sensationellen Finaleinzug (3:1 n.V.). Der Gegner im Finale war Deutschland, das Jugoslawien nach Verlängerung mit 2:4 besiegte. Die Heimmannschaft blieb ohne Medaille und unterlag im Spiel um Platz 3 den Niederlanden (2:3 n.V.).

Antonin Panenka schreibt Geschichte

Nach dem Vizeweltmeister traf die Tschechoslowakei auf den Welt- und Europameister, angeführt von Franz Beckenbauer, für den es das hundertste Spiel in der Nationalmannschaft war. Die Trainer stellten Jan Svehlik in die tschechoslowakische Startformation, und dieser belohnte sie in der 9. Minute mit dem ersten Tor des Spiels. Und als Karol Dobias in der 25. Minute mit links traf, sah alles sehr vielversprechend aus.

Doch die Deutschen gaben sich nicht geschlagen, Dieter Müller und Bernd Hölzenbein erzwangen die Verlängerung. Da hier keine weiteren Tore fielen, wurde der Europameister erstmals im Elfmeterschießen ermittelt. Die ersten sieben Schützen waren erfolgreich, aber der achte, Uli Hoeneß, schoss hoch über das Tor von Ivo Viktor.

Antonin Panenka hatte alles auf dem Fuß. Nicht nur, dass er den Elfmeter traf, er tat es auch auf eine unglaubliche Art und Weise! Er schoss den Ball sanft und in einem langsamen Bogen in die Mitte des Tores von Sepp Maier, der zur Seite „flog“. Panenkas Elfmeter ging für immer in die Fußballgeschichte ein.

„Ich hatte es geübt, ich hatte es in den Spielen ausprobiert. Ich wusste, wenn es zum Elfmeterschießen kommt, werde ich so schießen.“
Antonin Panenka, Europameister 1976

Hinter dem sensationellen Erfolg der Mannschaft stand die perfekte Zusammenarbeit und Symbiose des Trainerduos Vaclav Jezek – Jozef Venglos. Die größte Stärke der Mannschaft, und das ist keine Phrase, war die Mannschaft selbst. Sie verfügte über Weltklassespieler, angeführt von Torwart Ivo Viktor und Innenverteidiger und Kapitän Anton Ondrus, aber auch über andere große Fußballspieler – Jan Pivarnik, Karol Dobias, Marian Masny, Zdenek Nehoda.

„Vor dem Finale sagte ich zu mir selbst: Mein Gott, das können wir doch nicht durchgehen lassen!“ 
Anton Ondrus, Kapitän der Europameister 1976

Finale: Tschechoslowakei – BRD 2:2 (2:1, 2:2) n.V, 5:3 n.E.
Tore: 9. Svehlik, 25. Dobias – 28. D. Müller, 89. Hölzenbein
Schiedsrichter: Gonella (Italien) – 30.790 Zuschauer. Das Spiel fand am 20. Juni 1976 im Stadion von Crvena Zvezda Belgrad statt.
Europameister-Mannschaft: Viktor – Pivarnik, Ondrus, Jozef Capkovic, Gögh – Dobias, Panenka, J. Moder – M. Masny, Svehlik (80. Jurkemik), Nehoda

Fakten EURO 1976

  • Albanien nahm nicht an der Qualifikation teil. Dies geschah aus Protest, nachdem die UEFA kritisiert hatte, dass mehrere finnische Spieler mit langen Haaren bei ihrer Ankunft in Tirana von der örtlichen Polizei festgenommen und ihnen die Haare abgeschnitten worden waren! Dies geschah, weil das kommunistische Regime des Landes solche Frisuren (die damals weltweit in Mode waren) als Zeichen der Rebellion ansah.
  • Keines der vier Spiele des Finalturniers wurde in der regulären Spielzeit entschieden, drei gingen in die Verlängerung und das Finale wurde im Elfmeterschießen entschieden.
  • Da die tschechoslowakische Mannschaft keine Ersatztrikots mit nach Belgrad gebracht hatte und die meisten Spieler kurz nach dem Finale mit ihren Gegnern die Trikots tauschten, wurde der Europameisterpokal in den deutschen Trikots überreicht.
  • Die Tschechoslowakei hat zwischen dem 13. November 1974 und dem 13. Oktober 1976 22 Spiele in Folge keine Niederlage erlitten.
  • Für den Titel kassierten die tschechoslowakischen Fußballspieler rund 38.000 tschechoslowakische Kronen „pro Kopf“. Der Durchschnittslohn in der Tschechoslowakei betrug damals rund 2.000 Kronen.